Ladakh

Land und Leute studieren, so könnte man ganz kurz zusammengefasst sagen, was ich in 4 Wochen in Ladakh getan habe – und dabei ist es mir nicht langweilig geworden. Ich habe dort so viele wunderbare Geschenke und Segnungen erhalten. Danke an alle und alles.

Das Gästehaus gehört einer Familie, die in all den Neuerungen noch sehr traditionell lebt und an den alten Gebräuchen festhält.So hat Dolka gebetet wenn sie den Brotteig geknetet hat oder die Blumen gegossen hat. Außer einer Gasplatte gab es keine elektrisches Gerät im Haus und das tibetische Brot wurde auf einer Schieferplatte über der Gasflamme gebacken und war so lecker.

In den tibetischen Restaurant wurde alles frisch und nach meinen Wünschen zubereitet. So war es gar kein Problem die Speisen ohne Zwiebel und Knoblauch zu bekommen. Suppen mit selber gemachten richtig breiten Nudeln oder Momos, eine Art tibetische Maultasche waren meine Favoriten. Morgens gab es Porridge aus Gerstenflocken oder noch typischer aus geröstetem Gerstenmehl. Jetzt im August sind die hoch aromatische Aprikosen reif und es gibt auch schon die ersten Äpfel. Zum Abendbrot hab ich bei den Bäuerinnen Tomaten und Karotten erstanden. Alles schmeckt so lecker, man merkt, es wird mit Liebe angepflanzt, gesegnet und mit Wasser aus den fernen Gletschern gegossen.
Ladakhis sind sehr gastfreundlich von einem Bauern wurde ich zum Mittagessen eingeladen, Gemüse, Kartoffeln und kleine Nudeln mit viel Kräutern gewürzt, einfach köstlich. Ladakhi sind Selbstversorger, außer Salz und Öl stellen sie alles selber her in bester Qualität.
Essensreste werden nicht weggeworfen. Was von den Gästen auf dem Teller übrig gelassen wurde, kommt wieder in den großen Topf und wird am nächsten Tag von der Familie verspeist.
Ladakhis sind sehr freigiebig und umgekehrt nehmen sie Geschenke einfach ohne viel Trara darum zu machen, es ist einfach selbstverständlich zu geben und etwas zu bekommen.
Auch das Verabschieden ist ganz einfach, Tschüß und alles gute so ist das Leben sich treffen und auseinandergehen.

Helena Norberg hat schon früh erkannt, dass es gilt die Ladakhis zu unterstützen und das Selbstbewusstsein derer zu stärken, die traditionell leben. Möge es geschehen, dass der Geldbuddha nicht siegen wird! Auch Helena hab ich persönlich getroffen, eine taffe Frau, die viel weiß über den Handel und sich seit vielen Jahren sehr engagiert für die Umwelt und die Traditionen einsetzt.

Ladakhische Frauen dürfen sich noch Rundungen erlauben, in ihren Gonchos passen noch Bäuche und sie strahlen eine sehr energievolle Frauenkraft aus. Wir haben auch unsere Bäuche verglichen, Dolma meinte ihrer sei viel zu dick, ich fand ihn schön, eben fraulich. Bei Dolma der Schneiderin, durfte ich so manche Stunden auf dem Boden sitzend verbringen, während sie genäht hat an ihrer Handkurbel-Nähmaschine und wir uns ohne Worte verständigt haben. Einmal war ihre Freundin zu Besuch und es war spannend die beiden Frauen zu beobachten – mit wie viel Einfühlungsvermögen und Anteilnahme mit den Augen, der Zunge und dem ganzen Körper geredet wird. Dann wird die Näharbeit immer wieder zur Seite gelegt, eine getrocknete Aprikose gegessen und wenn man müde ist, dann bettet man den Kopf auf einen Stoffballen und döst ein bisschen. Das ist Lebenstempo, das bekömmlich ist. Später schaut die Frau des indischen Schneiders vorbei und so sitzen Christin, Buddhisten und Hindu friedlich zusammen. Einmal hat sie meine 3 Goldkronen entdeckt, wow jetzt war ich wertvoll, eine ganze Zeit ging es um dieses Gold im Mund, es scheint für Ladakhis wichtig zu sein, sein Gold im Mund zu tragen.

Der Bäcker verarbeitet 800 Brote am Tag und hat sein ganz eigenes System. Er lebt nach seinen Regeln und bietet dafür seinen Kunden  Brote an die mit geruhsamer Energie gefüllt sind und so sicher bekömmlicher sind, als hektisch gebackenes Brot. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und die Menschen akzeptieren das und die Touristen lernen damit umzugehen.
Momo, die Tibeterin, die am Strassenrand geboren wurde, weil ihre Eltern aus Tibet fliehen mussten und sich um überleben zu können als Strassenarbeiter verdingt haben. Ein harter Start ins Leben! Wenn immer wir über Tibet gesprochen haben, hatte sie Tränen in den Augen.
Zwei mal im Monat schließen die Tibeter ihre Geschäfte und beten und zünden Kerzen an für ihre Landsleute die unter der chinesischen Herrschaft zu leiden haben. Da ist soviel Schmerz zu spüren. Der Dalai Lama ist ihr Hoffnungsstrahl, da glänzen die Augen, wenn sie von ihm sprechen.
Ich hab auch wieder Wäsche waschen mit den Händen und mit kaltem Wasser gelernt. Gar nicht so schwer, dass mit dem Reiben des Stoffes auf den Steinen und auch das Auswringen ist nur eine Frage der Technik.

Jeden Morgen und jeden Abend durfte ich den Haustempel im Gästehaus zum Meditieren benutzen. Eine große Ehre! Ein wunderbarer Raum mit großen Buddhas und einem Ofen mit Butterlampen. Dolka hat jeden Morgen das Lebenslicht wieder neu angezündet, ihre Schalen mit frischem Gletscherwasser gefüllt, ihre Niederwerfungen gemacht, dazu Mantras gesprochen und im Anschluss das ganze Haus geräuchert mit Kräutern die Tsering von seinen Wanderungen aus über 4000 m Höhe mitgebracht hat. So war immer gute „Luft“ im Haus.

In Ladakh braucht alles seine Zeit und Hektik und Drängen bringt gar nichts. Die Menschen haben noch diesen Urinstinkt in sich, dass man nur eins nach dem anderen tun kann und dass man die eine Sache zu Ende bringt bevor man eine Neue beginnt. Und da sind sie sehr klar und selbstbewusst sich zu äußern, wenn etwas jetzt nicht geht! So konnte Gidar nicht gleichzeitig Abendessen vorbereiten und für mich heißes Wasser machen. Später sei es möglich und später kann auch erst in 3-4 Stunden sein. Und wenn er sagt später, dann sagt es das mit einer Selbstverständlichkeit, die uns leider abhanden gekommen ist. Wir glauben mittlerweile wenn wir nicht Dinge noch zusätzlich machen können wir wären unzulänglich. Unsere hektische Welt hat uns dahin gebracht.

Gidar ist indischer Wanderarbeiter. In Ladakh arbeitet er von Mai bis September. Er arbeitet jeden Tag von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr abends. Schlafen kann er in der Küche oder in einer kleinen Hütte hinter dem Haus. Auf meine Frage wovon er träume, schaut er mich ganz komisch an. Von einem Haus, einem Motorrad nenne ich ihm Beispiele. Nein, sagte er, er sei zufrieden, evtl. möchte er einmal Treckingführer werden, deshalb sei er hier in Ladakh.  An einem Abend darf ich ihm und Dolka zuschauen beim Momo-machen. Gitar hat schon am Nachmittag den Nudelteig aus Gerstenmehl und Wasser geknetet, sehr lange und er lässt sich dabei nicht ablenken. Dann gehen beide ins andere Zimmer und setzen sich dort auf den Boden. Gidar hat eine große Platte vor sich, auf der er den Teig stückchenweise auswellt und dann mit einem Becher Kreise aussticht. Dolka nimmt die Teigkreise auf, füllt sie mit Gemüse und formt dann mit 2 Fingern einer Hand kleine Rosetten daraus. Zwischendrin läutet das Telefon. Gidar unterbricht seine Arbeit. Ich frage Dolka ob ich an Stelle von Gidar weitermachen darf. Sie zuckt die Schulter. Ich frage ob der Teig schon dünn genug ist. Sie sagt da müsse ich Gidar fragen, es ist sein Teig. Was lerne ich daraus: Ladakhis haben keine Hektik (man kann warten bis der andere wieder kommt) und auch Teigausrollen ist eine wichtige Aufgabe, eine Verantwortung und eine Wertschätzung, das kann man nicht so einfach übernehmen.
Barag, der 15-jährige Neffe von Gidar arbeitet auch im Gästehaus. Er macht die „kleinen“ Arbeiten. Er ist ein Meister im Abspülen mit kaltem Wasser wohlgemerkt. Es ist eine Freude seine Augen leuchten zu sehen, wenn er ab und zu mal Fahrradfahren darf und er ist schon sehr gut im Zimmer fegen und Wäsche auswringen.

Ein nettes Erlebnis hatte ich im Stadtkloster. Ich ging dort zur Toilette. Toilette bedeutet mehrere Löcher im Freien hinter einem Zaun versteckt. Frauen und Kinder waren schon dort und saßen in der Hocke. Ich war erstmal sehr verdutzt, weil ich ein WC im Freien nicht erwartet hatte und dann starrten mich Frauen und Kinder an, solange bis ich auch vor einem Loch mit heruntergelassener Hose in die Knie ging. Dann war ich nicht mehr interessant und sie redeten wieder weiter.

Tsering hat mir erzählt, er habe 2 Füße und er gehe nur dahin wo seine Füße ihn hintragen, egal wie lange es dauert. Er sei als eines von 10 Kindern aufgewachsen, es gab kein Geld für Schuhe, so sind sie auch im Winter barfuß durch den Schnee gegangen. Man solle seine Wurzeln nicht vergessen, meinte er, wenn man sich zu weit davon entferne tue es einem nicht gut. Da ist was dran!

Stanzin, arbeitet in einem Geschäft wo man Wasserflaschen mit abgekochtem Wasser auffüllen kann (Plastikmüll vermeiden) und leckeren selbergemachten Aprikosen- und Sanddornsaft trinken kann. Sie arbeitet in der Saison jeden Tag von 07.30 – 22 Uhr. Egal wann jemand den Laden betrifft, sie sagt immer freundlich: „Hello, how are you. Einige Male bin ich in den Laden gekommen und sie war auf dem Stuhl eingeschlafen. Es ist schön, dass diese Menschen noch die Gelassenheit und innere Ruhe haben, dass das geschehen darf.

Im Nubra Valley hatten wir einen Autounfall. Ein kleiner Lastwagen hatte die Kurve zu eng berechnet und unser Auto angerempelt. Ein Satz und alles war geregelt. Der LKW fuhr weiter, wir fuhren weiter, nur Blech. Wie unbürokratisch!

Ich durfte zwei traditionelle Heilerinnen treffen, ihnen bei der Arbeit zuschauen und Heilung erfahren. Sie heilen die Menschen so anderns. Sie gehen in Trance und fragen ihre Geister, nach der Wurzel des Leidens. Sie saugen mit Röhrchen die krankmachenden Energien aus dem Körper, sprechen Empfehlungen über den Lebenswandel aus. Es gibt kein Geheimnis. Alle sitzen vor der Heilerin im Kreis und einer nach dem anderen schildert sein Leiden und wird behandelt. Das ist erstmal ungewohnt, weil wir sonst ja mit dem Arzt allein sind. Doch die Mitpatienten sind sehr mitfühlend und achtsam und so gewöhnt man sich schnell daran. Außerdem ist es eine sehr effektive Methode, man bekommt eine eigene Heilung und profitiert von den Heilungen der anderen. Schließlich sind wir alle miteinander verbunden.

Neben den Heilerinnen gibt es auch traditionelle Kräuterärzte. sie können anhand des Fühlen des Pulses an verschiedenen Stellen eine Diagnose über meinen Gesundheitszustand stellen. Außerdem wollen sie noch die Zunge sehen und schauen tief in die Augen. Dann verordnen sie Kräutermedizin aus dem Himalaya. Leider wird diese Medizin immer rarer. Die großen Ayurvedafirmen grasen alles ab. So haben die Ärzte mittlerweile Schutzgebiete ins Leben gerufen um die verschiedenen Pflanzenarten zu erhalten.

Als dritte Anlaufstelle für hilfsbedürftige Menschen gibt es die Lamas in den Klöstern. Dort erhalten die Menschen Zuspruch, Segnungen, sie können um Gebete bitten und sie erhalten bebetete und gesegnete Kräuterpillen. Außerdem ist der Lama zuständig für astrologische Fragen, wie z. B. den richtigen Zeitpunkt zur Aussaat, zur Geschäftseröffnung und zur energetischen Reinigung des Hauses.

Eigentlich wollten wir gerne in einem kleinen Nonnenkloster weit ab übernachten. Doch die Naturgewalten kamen uns zuvor. Nachts hat sich ein Berg selbständig gemacht und Matsch floß den Berg hinunter und bei den Fenster des Nonnenkloster hinein und bei den Türen wieder hinaus.
So wurden fast alle Räume im Inneren zerstört und auch die vielen Aprikosen die im Hof und auf dem Dach zum Trocknen lagen und eine wichtige Einnahmequellen für die Nonnen sind. Dort leben 25 Nonnen im Alter zwischen 8 und 21 Jahren. Der Matsch hat sich mit unglaublicher Gewalt bis ins Tal vorgearbeitet in die kleine Straße die zum Kloster führt komplett zerstört. Wo Straße war ist jetzt ein reißender Bach. Unter abenteuerlichen Bedingungen sind wir zum Kloster hinaufgeklettert. Unser Wunsch Kleidung und Spendengelder als Unterstützung hinzubringen war stärker als unsere Angst vor Abhängen und Geröllmassen. Ich war noch nie zuvor in einem Katastrophengebiet und es ist ein enormer Unterschied mitten drin zu sein statt es in der Zeitung zu lesen. Ladakhis aus den umliegenden Dörfern aller Altersklassen kommen jeden Tag hinauf und helfen den Matsch mit Säcken wegzuräumen, alles Handarbeit und so geht es langsam voran. Hoffentlich schaffen sie es bis Ende September der erste Schnee kommt. Momentan leben sie in Zelten und kochen im Freien.

Das hört sich alles bis hierher rosarot und himmelblau. Ladakh ist jedoch auch in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und dem westlichen Streben nach Geld und Ansehen. Viele können nicht glauben dass wir in  mitten unseres Geldes unglücklich sind und auch nach wie vor auf der Suche nach dem Glück sind. Die Werbung hat schon ganze Arbeit geleistet. Moderne Kleidung, lackierte Fingernägel und die Hollywoodstars, sowie Handy, Motorrad und Fastfood, das sind die bevorzugten Dinge der Jugend. Sie gehen in Schulen die nach westlichen Lehrplänen unterrichten. Das macht mich sehr nachdenklich – ist Bildung wirklich so wichtig, oder wäre es nicht lebensnotwendiger und herzensbildender zu wissen wie man Lehmziegel macht und ein Haus baut, Gemüse anbaut zum richtigen Zeitpunkt und all das traditionelle Wissen damit am Leben erhält?
Der ewige tönende Fernseher hat in manchen Haushalten auch schon Einzug gehalten. Die wenigsten schauen an was da läuft, es ist nur ein Statussymbol.

Früher war das Land in Ladakh für alle da, wer ein Stück Land brauchte bewirtschaftet es oder baute ein Haus. Seit einigen Jahren kostet Land Geld, schade!

Delhi und der Verkehr – ein Musterbeispiel dafür dass es funktioniert auch ohne Verkehrsregeln. Die ersten Minuten in der Ritschka sind eine Probe fürs Nervenkostüm, doch wenn man Vertrauen zum Fahrer entwickelt hat, merkt man das es geht, einfädeln in den Verkehr und hupen und nicht immer auf sein Vorfahrtsrecht beharren, es geht richtig gut!

Susanne Weikl

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