Wer urtümlichen, urwüchsigen und archaischen Schamanismus erleben will, der ist in der Mongolei am richtigen Ort. In der weiten, unendlichen Steppe läßt sich diese wilde Kraft nicht einfangen, sie behält ihre Dynamik und Lebendigkeit. Das Schamanentum hat die Jahre der Unterdrückung und Verfolgung überlebt und die Schamanen der Mongolei vermehren sich und die Mongolen suchen ihre Unterstützung.
Das Hauptziel meiner Reise war die Begegnung und das Erleben schamanischen Persönlichkeiten und ihrer Arbeit, getreu dem mongolischen Sprichwort: “Besser etwas einmal mit eigenen Augen sehen, als tausendmal von anderen hören”. Bogi war meine Reiseführerin. Sie ist Reiseleiterin und Übersetzerin, spricht sehr gut Deutsch und wir sind seit meiner letzten Reise in die Mongolei in Kontakt geblieben. Dembe, ihr Vater, stellte seine Dienste als Fahrer und ausgezeichneter Mechaniker zur Verfügung.
Die erste schamanische Begegnung fand gleich am Ankunftstag statt. Bogi hat die Schamanin Yavuut im Jurtenviertel von Ulaan Bataar ausfindig gemacht. Wie findet man Schamanen? Ganz einfach man beauftragt seinen älteren Bruder sich umzuhören und wartet geduldig ab.
Yavuut
Yavuut bedeutet geheimnisvoll, verborgen. Bogi hat Yavuut bereits im Vorfeld informiert, dass ich als schamanische Heilerin in Deutschland arbeite und sehr gerne mit mongolischen Schamanen in Kontakt kommen möchte. Sie begleitet mich und fungiert als Übersetzerin. Yavuut hat uns gebeten Wodka, gelbe Butter, Milch und harten Käse als Opfergaben mitzubringen, wir geben sie ihr und sie platziert sie auf dem Altar.
Yavuut lächelt mich an und sagt, dass sie mich schon “gesehen” hat, als Bogi sie wegen des Treffens anrief und seitdem war sie sehr gespannt auf das 8.000 km entfernte gelbhäutige Wesen.
Sie lädt uns in ihre Jurte ein, die sie nur für ihre Heilarbeit nutzt. Der Eingang einer Jurte zeigt meistens in Richtung Süden, deshalb steht im Norden der Jurte der Altar. So ist es Tradition. Auf dem Altar von Yavuut finden wir Öllämpchen, Opferschalen, Buddhas, Masken, Kataks (Glückschals in den Farben weiß, grün, blau, rot und gelb), Figuren von Pferden, Kamelen und Adlerfedern. Yavuut nimmt vor dem Altar Platz und wir nehmen im Westen auf einem Teppich Platz, im östlichen Teil der Jurte sitzt ihre Helferin.
Die Swastika auf ihrem Altartuch ist in der Mongolei und Tibet ein Symbol für Ausdauer, Festigkeit und Beständigkeit. Es wird seit mehr als 6000 Jahren verwendet und hat nichts mit dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten zu tun.
Schamanische Weltbild
Yavuut erzählt mir, dass Schamanen vom Tenger, dem blauen Vater Himmel berufen werden. Es sind außergewöhnliche Menschen, die eine enge Verbindung zu ihm haben. Aufgabe der Schamanen ist es den Menschen, die sich quälen zu helfen und als Vermittler und Beschützer zu fungieren. Schamanen sehen mit den Augen des blauen Vater Himmels und deshalb ist der blaue Katak bei den Schamanen sehr verbreitet. Tenger beschützt und stärkt die Schamanen bei ihrer Arbeit.
Ein Schamane soll von seinem Beruf überzeugt sein, stark sein und von ganze Herzen Ja zu seiner Berufung sagen
Traditionell arbeiten mongolische Schamanen mit ihrem Helfergeist. Der geistige Helfer von Yavuut ist einer ihrer Ahnen aus der Vaterlinie, der schon 8 Generationen vor ihr gelebt hat. Yavuut war nicht immer Schamanin. Vor einigen Jahren wurde sie sehr krank und verlor ihre Arbeit. Daraufhin haben ihr 5 Schamanen gesagt, dass es jetzt an der Zeit ist ihre Aufgabe als Schamanin anzunehmen. Um das zu tun brauchte Yavuut einen Lehrer. Der Schüler sucht sich nicht den Lehrer aus, sondern der Lehrer sucht den Schüler. Bei Yavuut gestaltete sich dieser Prozeß sehr spannend, eine ganze Zeit lang war kein Lehrer in Sicht, bis plötzlich ihre Lehrerin auftauchte. Es ist eine entfernte Verwandte aus ihrer Mutterlinie, die schon lange als Schamanin arbeitet und mit der die Familie nie Kontakt hatte. Diese Lehrerin träumte von Yavuut und machte sich auf die Reise um ihr zu begegnen und sie als Schülerin anzunehmen.
Wir runden unseren Austausch ab, in dem ich ihr von mir und meiner Art der Heilarbeit erzähle und dann beginnt das eigentliche Ritual.
Yavuut zieht ihren schwarze, bodenlangen Schamanenmantel an der mit schwarzen Schnüren, die Schlangen darstellen und weißen und blauen Kataks geschmückt ist. Darüber hängt sie lange Ketten aus Samen und das Schulterblatt eines Schafes. Vor ihrer Brust und Stirn wird ein Spiegel aus Metall angebracht. Der Spiegel soll böse Geister abwehren. Danach stülpt sie ihre Kopfbedeckung über, die tief in die Stirn hinein reicht und ihr ganzes Gesicht mit Fransen aus schwarzem Filz bedeckt. Das hilft ihr sich ganz von der Außenwelt abzuschirmen. Gleichzeitig dient das Gewand dazu dem Helfergeist die Tür zu öffnen, damit er in ihren Körper schlüpfen kann.
Ihre Helferin bespritzt ihr Gewand mit Wodka, zündet die Öllampen an, gibt Wodka in die Opferschalen auf dem Altar, besingt und lobt den Helfergeist, lädt ihn damit ein zu kommen und zeigt ihm, dass er willkommen ist. Dann reicht sie Yavuut die große Trommel und sie beginnt zu trommeln, zuerst langsam, dann immer schneller und stärker, ihr Oberkörper bewegt sich im Rhythmus der Trommel. Nach einigen Minuten stoppt sie abrupt, sie ist in Trance, ihr Helfergeist ist in ihren Körper geschlüpft und übernimmt die Führung. Wir bemerken das auch daran, dass sie jetzt mit einer anderen Stimme spricht.
Die Helfergeister haben auch menschliche Züge und Leidenschaften. So liebt Yavuuts Helfergeist Milchtee, Wodka und Zigaretten. Während der Trance trinkt sie/er viele Schalen dieser Getränke und raucht eine Zigarette nach der anderen, stilecht mit Zigarettenhalter :). Yavuut hat un davon zuvor berichtet und gesagt, dass dies keinen Einfluss auf ihren Körper hat.
Der Helfergeist begrüßt uns und stellt neugierige Fragen. Er gibt mir positive Rückmeldungen zu meiner Heilarbeit und fordert mich auf Fragen zu stellen. Seine Antworten werden von der Helferin übersetzt und danach übersetzt Bogi das Gesagte in Deutsch. Er erklärt uns, dass schamanische Heilung grenzenlos ist, weil es unbegrenzte Möglichkeiten der Heilung gibt.
Unser Prozeß wird unterbrochen, eine Mongolin betritt die Jurte und ich erfahre, dass sie Yavuut um Heilarbeit für ihren neugeborenen Neffen bittet, der am Morgen geboren wurde und nicht so richtig leben will. Yavuut, wie alle Mongolen, geht mit stoischer Ruhe mit Veränderung um und beginnt mit der Heilung für das Neugeborene. Sie nimmt einen roten Faden, der sinnbildlich für das Blut des Baby steht, murmelt heilende Worte dazu und gibt ihn der Frau mit. Besonders berührt mich, dass sie sich einen blauen Kadak an ihren Mantel bindet und mir erklärt, dass der blaue Vater Himmel und sie ab jetzt über das Leben dieses Neugeborenen wachen.
Dann setzen wir unser Ritual fort. Der Helfergeist berührt meine Hände und Ströme von warmer Energie durchfluten mich. Er reibt meine Handflächen und will wissen was ich im Körper wahrnehme. Zum Abschluss spielt die Helferin ein Heillied mit der Mundgeige für mich. Während des Spiel habe ich das Gefühl, dass der Himmel seine Sterne über mich regnen läßt.
Als das Ritual beendet ist, trommelt Yavuut solange bis der Geist ihren Körper verlassen hat. Das geht sehr schnell, sie zieht ihr Schamanengewand aus, trinkt entspannt einen Schluck Tee, lächelt uns an und will wissen ob ich Antworten auf meine Fragen bekommen habe. Sie selbst, hat keine Erinnerung was während des Rituals passiert ist.
Wir verabschieden uns in dem Yavuut unsere bevorstehende Reise in die Gobi segnet und uns in Gedanken begleiten
Was für ein wunderbarer Start!
Am nächsten Morgen steht Papa Dembe mit seinem Purgon (russischer Bus) vor der Tür und das Abenteuer Gobi kann beginnen. Alle Vorräte sind an Bord, auch Zelt und Filzmatten, 2 Wasserkanister, die wir immer wieder an Quellen auffüllen werden sowie der mongolische Orientierungssinn um in der Steppe den Weg zu finden. Während unserer Reise lerne ich viel über den Umgang mit den Elementen, von den Elementen und profitiere von der Lebenskunst und Überlebenskunst der Mongolen.
In Harmonie sein mit dem Leben bekommt für mich eine neue Bedeutung. Ich lerne vom Wind und der Sonne, dass sie da sein dürfen so wie sie sind, mit ihren Qualitäten, Eigenheiten und Wirkungen. Es geht darum nicht die Elemente zu verändern, sondern mich zu verändern. Mein Denken, meine Gefühle und meine Regeln zu ändern, zu vertrauen um irgendwann genau so authentisch zu sein wie die Elemente!
Symbolisch Leben:
Bogi erwähnt immer wieder, dass Mongolen symbolisch leben. Während wir im Orchontal am frühen Morgen begleitet von der aufgehenden Sonne frühstücken will ich mehr darüber wissen. Bogi erzählt: “Schau dich mal genau um, wenn du in eine Jurte gehst. Überall findet du Ornamente. Jedes Ornament hat eine tiefe symbolische Bedeutung. Das Gestänge der Jurte ist mit dem Symbol der Festigkeit und Verankerung bemalt. Truhen sind mit dem Symbol des Hundes bemalt, damit er die Silberschalen bewacht und auch mit dem Symbol des Löwen, damit sich die Familienmitglieder so stark und kraftvoll wie Löwen benehmen. Je nach Gegend gibt es auch Blumenornamente und Hörner, die für Fröhlichkeit stehen. Die Eingangstür der Jurte ist meistens mit dem Glücksknoten bemalt, damit das Glück ein ständiger Begleiter dieser Nomadenfamilie ist.”
Die Feuerstelle
Eine ganz wichtige Bedeutung hat das Feuer in der Jurte, deshalb ist der Ofen stets im Zentrum. “Das Feuer gibt ganz viel Kraft und beseitigt die bösen Geister” sagt Bogi. Am besten ist ein offenes Feuer. Das Feuer ist der heiligste Ort in der Jurte, deshalb dürfen nie die Füße zum Feuer zeigen und es dürfen nur reine Sachen im Feuer verbrannt werden. Wenn ein Tier geschlachtet wird, nimmt man den beste Teil, das ist der Magen des Tieres, füllt ihn mit dem Blut des Tieres und kocht da Ganze. Dann wird der Anschnitt, das erste Stück dem Feuer gegeben und das 2. Stück wird auf dem Hausaltar dem Schutzgeist der Jurte geopfert.
Geisterglaube
Apropo Opfer – Auf diesem Bild ist Bogi bei ihrem täglich Morgenritual zu sehen. Sie opfert den ersten Milchtee den Geistern aller Himmelsrichtungen, das darf nur mit Kopfbedeckung geschehen. Damit wird die Unterstützung und das Wohlwollen der Geister für die Arbeit des Tages gesichert. Das gleiche Ritual machte auch Bogis Mama am Ende unseres Kurzbesuches bei ihr, um uns eine gute Reise zu sichern. Was für ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit, wenn man beim Abfahren aus dem Heckfenster schaut und sieht wie der Reisesegen in Form von Teetropfen durch die Luft schwebt und einen die guten Gedanken der Zurückbleibenden begleiten.
Papa Dembe hat gleich am ersten Abend in der Steppe seinen besten Wodka aufgemacht und etwas davon in eine Schale gegossen. Dann hat er uns gezeigt, wie wir mit dem Ringfinger hineinstippen um je einen Tropfen an den blauen Vater Himmel, die Nomaden und an die grüne Mutter Erde zu verspritzen und dann die Stirn zu befeuchten. Erst danach sollte man einen Schluck davon trinken. Nun kannten wir das Ritual und konnten wann immer uns Milchschnaps oder vergorene Stutenmilch angeboten wurde, diese Segen ausführen, ganz mongolisch!
Alles ist im mongolischen Weltbild “begeistert”, die Berge, Seen und Flüße. So darf man auf keinen Fall den Namen eines Berges aussprechen solange er noch in Sichtweite ist. Das würde den Berggeist sehr erzürnen
Scheinbar mitten in der Landschaft begegnen uns immer wieder Ovoos, Steinsetzungen. Sie sind auf Gipfeln, Wegkreuzungen, an Quellen oder markanten Punkten zu finden und dienen dazu die lokalen Geister um ihre Gunst zu bitten. Oft wird um Regen gebeten. Der Nomade lebt von und mit der Natur. Wenn die Steppe ausgedörrt ist, finden die Tiere nicht genug zu essen, bilden keine Fettreserven und kommen möglicherweise nicht durch den Winter. Regen sichert das Überleben. Die traditionelle Begrüßung in dieser Zeit des Jahres unter den Nomaden ist: ”Guten Tag und habt einen guten Sommer.”
Ein Ovoo wird 3 x im Uhrzeigersinn mit guten Gedanken umrundet und bei jeder Runde wird ein Steinchen hinzugefügt. Man pflückt nichts im Bereich des Ovoos und hinterläßt auch keinen Müll.
Mongolisieren
Das ist ein tolles Wort, es bedeutet kreative Lösungen zu suchen und die Mongolen sind Meister im Mongolisieren. Deshalb werden sie selten etwas ganz Neues kaufen, das würde sie um das Abenteuer des Mongolisierens bringen. 🙂
Als ein einem sehr stürmischen Morgen mein Zelt sich aus allen Verankerungen befreite und die Zeltstangen dem Druck des Windes nicht mehr Stand halten konnten, war das für Papa Dembe eine hervorragende Gelegenheit zu mongolisieren. Ich konnte förmlich beobachten wie es in seinem Kopf arbeitet und alle Gehirnwindungen nach Lösungsmöglichkeiten durchsucht wurden. Schließlich ging er zu seinem großen Kasten mit einem Sammelsurium von Dingen, die wir wegwerfen würden, und fand das Geeignete um die Zeltstangen wieder zu reparieren. Alles per Hand, in der weiten Steppe sind elektrische Geräte nutzlos.
Besonders hingebungsvoll hat den Schlauch des linken hinteren Reifens unseres Purgons immer wieder repariert. Dieser Schlauch war ein echter Prüfstein, doch er hat es immer wieder geschafft. Keine Frage, dass er als wir zurück in der Hauptstadt waren, wieder einen gebrauchten Schlauch für hinten links gekauft hat. Mongolisieren ist pures Vergnügen und das beste Gehirntraining überhaupt.
Überhaupt ist dieser Purgon ein tolles Gefährt. Ursprünglich als Armeefahrzeug konzipiert, ist es das beste Auto für die unwegsamen Straßen der Steppe. Alles ist mechanisch und kann einfach mit Werkzeug gerichtet werden. Wann immer unser Purgon gestöhnt hat, hat Papa Dembe Rat gewußt und das stramme Kerlchen wieder besänftigt. Nur gegen den Rückenwind gab es kein Rezept. Der brachte das Kühlwasser zum brodeln und da half es nur eine Pause einzulegen und das Auto gegen den Wind zu stellen.
Ritual beim Tod eines Schamanen
In der Steppe wird seit Jahrhunderten der Leichnam des Verstorbenen zu einer abgelegene Stelle in der Natur gebracht. Innerhalb von 3 Tagen sollten Geier, Wölfe, Hunde oder andere Tiere kommen und den toten Körper verwerten. Der Körper großer Schamanen wird oft von Geiern davon getragen. Das ist ein Zeichen, dass dieser Schamane sehr viel tugendhaftes gemacht hat und nun als Vermittler zwischen Himmel und Menschen fungiert.
Eine buddhistische Schamanin
In einem wunderschönen Seitental am Fuße des Khogno Khan Uul Berge besuchen wir diese buddhistische Äbtissin in ihrer Jurte. Sie ist über 80 Jahre alt, eine weise Frau und sie hat die Verfolgung und das Verbot jeglicher Religionsausübung Anfang des 20. Jahrhunderts überstanden. Das alte Kloster wurde wieder aufgebaut und an besonderen Mondtagen können die Menschen kommen und sie um ihre Hilfe bitten. Meist geschieht diese Hilfe in Form des Lesens eines Gebetsbuches. Sie verbindet den buddhistischen Glauben mit dem Schamanismus. So liest sie nicht nur buddhistische Gebete, sondern trommelt, räuchert, befragt die Geister und betet. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie eine Ausnahme gemacht hat und wir sie besuchen und um ein Ritual bitten durften. Allein schon ihr gegenüber zu sitzen war sehr heilsam.
Papa Dembes Schulter schmerzt
Während eines besonders stürmischen Tages in der Wüste Gobi war Papa Dembe besonders gefordert. Der Weg ging über Stock und Stein und das Fahren mutet an wie in einer Achterbahn. Der Wind fegte durch die Gobi und beschlossen an diesem Tag noch die weite Fahrtstrecke über den Bergpass in Angriff zu nehmen, in der Hoffnung dass es im dahinterliegenden Tal windstill sein würde. Auf der Passhöhe empfing uns Wind, Regen und Nebel der bis zum Boden reichte. Viel zu gefährlich um hier auf den unbefestigten Wegen weiter zu fahren. Die Lösung war einen Nomaden zu fragen, ob wir bei ihnen schlafen können. Das war möglich und Papa Dembe schlief im Auto. Am nächsten Tag schmerzte seine Schulter und wir mußte durch matschiges Gelände fahren und seine Fahrkünste waren gefragt.
In der Mittagpause behandelte ich seine Schulter und das Weiterfahren ging leichter. Am Ende des Tages besuchten wir noch Bogi Schwester, die Ärztin ist. Sie setzte Schröpfgläser auf seinen Rücken und nach einer halben Stunden gab es dicke Blutergüsse zu bestaunen. Unbeeindruckt davon ließ er seine Neffen auf seinem Rücken herumhüpfen. Am nächsten Tag war alles wieder gut. Vermutlich war es die Kombination meiner “zarten” Hände und das schmerzvolle Ritual des Schröpfens. Die Mongolen sind hart im Nehmen, sie sind wie die Steppe.
Tsagtsaikhan
So sieht der Weg aus zu Tsagtsaikhan, einem Schamanen der ganz oben im Jurtenviertel am Rande der Hauptstadt lebt. Unser kleines Auto schnauft und stöhnt, holpert über die Schlaglöcher und bringt uns tapfer ans Ziel.
Was für ein Glück, dass Tsagtsaikhan 2 Tage zuvor vom Land zurück gekommen ist. Er wurde von seinem Heimatdorf gerufen um ein Ritual für Regen durchzuführen. So konnte mein Wunsch auch einen männlichen Schamanen zu treffen am letzten Tag meiner Reise in Erfüllung gehen.
Tsagtsaikhan hat Bogis Bruder aufgrund einer Empfehlung aus dem Nähkreis ihrer Mutter gefunden. Schamanen stehen schließlich nicht im Telefonbuch. Er arbeitet seit 10 Jahre als Schamane sowohl in Ulan Batar als auch auf dem Land. Dort auf dem Land, wo er aufgewachsen ist, hat er “seinen” Berg und mit dessen Berggeist arbeitet er, um die dortigen Naturwesen zu besänftigen, zu loben, zu ermutigen und ihnen zu opfern damit sie die Nomaden unterstützen. Zum Aufgabengebiet eines mongolischen Schamanen, so erzählt er mir, gehört auch die Arbeit für das Allgemeinwohl, das wird als sehr tugendhaft angesehen, weil es das Leben der Einheimischen verbessert. Bei seinem letzten Besuch hat er zusammen mit einem buddhistischen Lama ein Ovoo aufgebaut und dort mit der Bevölkerung eine Zeremonie abgehalten. Warum wohl? Damit es regnet.
Tsagtsaikhan erwartet uns mit seinen 3 Töchter, seiner Mutter (weißes Shirt) und der Empfang ist reserviert. Bogi erzählt mir, dass er zuerst seinen Geistführer befragt hat, ob er einen Termin mit mir machen soll. Welch ein Glück, dass der ihm geraten hat uns einzuladen. Seine Kinder brechen das Eis und allmählich kommen wir ins Gespräch. Auch hier bin ich die erste Ausländerin mit der er arbeitet, es ist eine besondere Begegnung für ihn, für uns beide.
Er erzählt mir, dass 1998 vieles in seinem Leben schief gegangen ist und er gefährdet war sich illegalen Geschäften zu zuwenden. Das hat seine Eltern alarmiert und sie sind zu einem Schamanen gegangen um seinen Rat zu erbitten. Sie erhielten die Information, dass ihr jüngster Sohn zum Schamanen berufen ist und er wurde als Schüler angenommen.
Tsagtsaikhan informiert uns, dass wir noch auf seine Frau warten, die als seine Helferin fungiert. Neugierig fragt er mich, ob ich auch einen Geistführer habe, ob es in Deutschland Schamanen gibt, wie ich in Trance gehe und ob ich mich erinnere was während einer Heilbehandlung passiert. Wir stellen fest, dass sich der Schamanismus der Mongolei sehr unterscheidet von anderen Ländern. Während unserer Unterhaltung bekommen wir Milchtee, Bonbons und Suppe mit hausgemachten mongolischen Maultaschen serviert. Die mongolische Gastfreundschaft sucht ihres gleichen.
Im Raum wird es immer dunkler und es fängt an in Strömen zu gießen. Wenn noch etwas nötig war endgültig das Eis zu brechen, dann der Regen. Tsagtsaikha sagt lächelnd: “Die Glücklichen bringen den Regen!” Ich glaube er hat es als Zeichen gedeutet, dass unser Zusammensein vom blauen Vater Himmel gesegnet ist.
Mittlerweile ist seine Frau eingetroffen, sie zündet getrockneten Thymian an und deutet an, dass wir mit dem Rauch unsere Hände und Achselhöhlen reinigen sollen. Dann führt sie uns in den 2. Raum des Lehmhauses, ein kleines Zimmer, das für die schamanische Arbeit genutzt wird.
Wir sitzen im Halbkreis auf dem Boden, die Oma, alle 3 Kinder und ein Nachbar ist auch dabei. Tsagtsaikhan zieht seinen Schamanenmantel über, der mit Messingglöckchen und den gefilzten Schlangen bestückt ist. Seine Augen werden mit einem blauen Schal verbunden bevor er einen großen Filzhut überstülpt. An diesem sind große Adlerfedern befestigt und in der Mitte thront ein Adler aus Metall. Schwarze Filzfransen bedecken sein Gesicht.
Er trinkt einen großen Schluck Milchtee und beginnt zu trommeln, zuerst langsam dann immer schneller, lauter und wilder. Eine urwüchsige Kraft breitet sich im Raum aus. Plötzlich geht ein Ruck durch seinen Körper und sein Geistführer, ein alter Greis aus dem 13. Jhrdt. ist in ihm. Tsagtsaikhan ist besonders stolz darauf diesen Geist zu haben, lebte dieser doch in Zeit vor Dschingis Khan. Wir begrüßen den Geist zusammen und die Tür des Raumes wird geöffnet und bleibt offen als Zeichen des Willkommens.
Weil der Geist schon alt, müde, schwach, schwerhörig ist und ihm die Knie weh tun entscheidet er sich nochmal zu gehen. Es wird wieder getrommelt, der Geist kommt zurück und dieses Mal haben wir eine gute Verbindung. Es ist der Geist, der die Gehilfin aussucht und mit dieser Aufgabe verfügt die Gehilfin über die Fähigkeit den alten Dialekt des Geistes zu verstehen und ins neuzeitliche Mongolisch zu übersetzen.
Die Kinder erleben die Verwandlung des Vaters scheinbar mühelos. Gerade sind sie noch auf seinem Schoß gesessen und er hat sie geneckt und 3 Minuten später sieht er anders aus und spricht mit einer anderen Stimme.
Jeder kann Fragen stellen, die älteste Person im Raum beginnt. Tsagtsaikhans Mutter ist die Erste. Dann bin ich an der Reihe. Ich bitte den Geist um Hilfe bei meinen Rückenschmerzen. Zuerst berührt Tsagtsaikhan meinen Rücken an verschiedenen Stellen und verordnet Thymianumschläge, das gesegnete Thymiankraut dafür bekomme ich geschenkt. Dann werde ich gefragt, ob ich möchte dass der Geist mich heilt. ”Ja, gerne” ist meine Antwort. Ich darf wieder niederknien und den Kopf auf den Bogen legen. Sanft streichen seine Hände über meine Wirbelsäule. Plötzlich nimmt er eine Lederpeitsche in die Hand. Bevor ich etwas sagen kann, geht es schon los, es tut nicht weh, ich bin erstaunt. Nur beim letzen Schlag spüre ich Schmerzen. Bevor ich überlegen kann, ob ich meine Schmerzwahrnehmung ausschalten soll, ist das Ritual schon zu Ende. Mein Rücken ist danach, leicht und sehr elastisch. Auch am nächsten Tag sind keine blaue Flecken zu sehen. Sehr gut!
Mit der Trommel wird der Geistführer verabschiedet und Tsagtsaikhan legt seine Kopfbedeckung ab und fragt schmunzelnd, ob wir uns gefürchtet hätten. Wir reden noch eine Weile mit ihm und seiner Familie und wachsen einander immer mehr ans Herz. “Komm wieder, wir freuen uns” sind ihre Abschiedsworte. Das werde ich gerne tun.
Mit diesem Abend geht meine mongolische Reise zu Ende. Eine Reise, die mich aufgefordert hat, zu allem im positiven Sinne JA zu sagen. Ein JA, dass bestimmt ist von Vertrauen in mich, meine Kraft und das Leben. Eine Reise, die mich mitten hineingestellt hat in die Hexenküche der Elemente und ich kann mit Stolz sagen, es ist was richtig Gutes dabei herausgekommen. Die Elemente sind weder unsere Feinde noch wollen sie uns ärgern, sie sind und leben ihre Kraft. Und sie sind kooperativ, so manches Mal folgten die Regenwolken meinem Wunsch schneller weiter zu ziehen und auch der Wind ist mir ein guter Freund geworden.
Gehe in die endlose Steppe, fühle deine Grenzenlosigkeit und werde weit, so weit und kraftvoll wie die Steppe!
Möge dich diese Reise mit mir in die mongolische Steppe, erfüllen mit ihrer Kraft, mit der Weisheit der Elemente und der Menschen dort.
Steppenwind
manchmal rauh
manchmal sanftmütig lind
sein Tatendrang ist unermeßlich
spürbar
Susanne Weikl
© Copyright @ 2021 all rights reserved by „Susanne Weikl“ / Impressum / Datenschutzerklärung